MDR 1 genetischer Defekt in der

Blut -Hirn-Schranke.

Der „Ivermectin-empfindliche Collie“(Border Colie)

In den zurückliegenden 20 Jahren sind zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen erschienen, in welchen über eine auffallende Überempfindlichkeit mancher Collies gegenüber dem Antiparasitikum Ivermectin berichtet wurde.

Die betroffenen Tiere zeigten gravierende neurotoxische Effekte bereits bei einer Dosierung von 100-150 µg/kg Körpergewicht, welche sich in Form von Bewegungs- und Koordinationsstörungen, Zittern, Benommenheit, Erbrechen, Desorientiertheit, Pupillenerweiterung und vermehrtem Speichelfluss äußerten.

Ab einer oralen Dosis von 200 µg/kg Körpergewicht kann es zu komatösen Zuständen und sogar zum Tod des Tieres kommen. Für diese Subpopulation wurde in der Literatur der Begriff „Ivermectin-empfindlicher Collie“ geprägt.

Bemerkenswert ist dabei, dass andere Collies und auch andere Hunderassen eine orale Ivermectin Gabe von 2000 µg/kg ohne klinische Zeichen einer Vergiftung vertragen. Der genetische Hintergrund dieser unterschiedlichen Ivermectin-Empfindlichkeit war bisher völlig unbekannt und wird erst seit etwa drei Jahren von Gruppen in den USA (Washington), Frankreich (Toulouse) und Deutschland (Gießen) untersucht.

Was bewirkt ein Defekt in der Blut-Hirn-Schranke?

An der Grenze zwischen Blutgefäßen und dem Nervengewebe stellt der sogenannte  MDR1-Transporter (Multidrug-Resistenz) eine Schutzbarriere für das Gehirn dar. Er ist ein Teil der dort vorhandenen funktionellen Blut-Hirn-Schranke.

Auswirkung eines intakten (A) und defekten (B) MDR1-Transporters auf den Übertritt von Ivermectin in das Gehirn. Der Defekt im MDR1-Gen bei Ivermectin-empfindlichen Collies führt zu starken neurotoxischen Nebenwirkungen aufgrund einer erhöhten Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke.

Der MDR1-Transporter sitzt normalerweise auf der Oberfläche der Endothelzellen, das sind Zellen, die die Wände der Blutgefäße von innen auskleiden. An dieser Stelle sorgt er dafür, dass toxische Verbindungen und Arzneistoffe, wie das Antiparasitikum Ivermectin, in den Gehirnkapillaren zurückgehalten werden . Besteht nun ein genetischer Defekt im MDR1-Gen geht diese Schutzfunktion verloren und Substanzen wie Ivermectin können ungehindert ins Nervengewebe übergehen . Bei betroffenen Tieren treten daher nach der Verabreichung von Ivermectin starke neurotoxische Nebenwirkungen auf [7,8]. Aus Untersuchungen an Mäusen, bei welchen der MDR1-Transporter in der Blut-Hirn-Schranke bewusst ausgeschaltet wurde (sog. Knock-out Mäuse), wissen wir, dass nicht nur Ivermectin, sondern auch zahlreiche andere Arzneistoffe bei betroffenen Tieren bis zu 90-fach mehr ins Gehirn übertreten als bei Vergleichstieren mit intakter Blut-Hirn-Schranke. Kommen diese Arzneistoffe (siehe Tabelle) in diesem Fall in Kontakt mit den Neuronen im Gehirn, treten völlig neue, unter Umständen auch lebensbedrohende neurotoxische Wirkungen auf [9]. (Anmerkung : es sind noch bei weitem nicht alle Medikamente getestet worden, so dass durchaus auch noch andere Mittel toxisch wirken können !!!)

Arzneistoffe, welche bei einem Defekt im MDR1-Gen vermehrt ins Gehirngewebe übergehen können

Von diesen Arzneistoffen kann erwartet werden, dass sie bei der Therapie von Hunden mit defektem MDR1-Gen unerwartete Nebenwirkungen zeigen. Im Falle von Ivermectin und Loperamid wurde  bereits über gravierende neurotoxische Effekte nach der Therapie betroffener Hunde berichtet [9].

Arzneistoff                                                 Anwendung als ...

Ivermectin                                                   Antiparasitikum

Loperamid                                                   Antidiarrhoikum

Digoxin                                                       Herzwirksames Glykosid

Vincristin, Vinblastin, Doxorubicin                   Zytostatika

Cyclosporin                                                  Immunsuppressivum

Grepafloxacin, Sparfloxacin                            Antibiotika

Ondansetron                                                Antiemetikum

Chinidin                                                      Antiarrhythmikum

Ebastin                                                       Antiallergikum

Dexamethason                                             Glucocorticoid

 

Welche Hunderassen sind betroffen?

Die größte Häufigkeit des MDR1-Defektes fand man bei Collies (76%), gefolgt von Shetland Sheepdog (58%), Australian Shepherd (30%) und Border Collie (1%). In einer vergleichbaren Studie in den USA wurde der MDR1-Defekt zusätzlich bei folgenden Hunderassen gefunden: English Shepherd, Longhaired Whippet, McNab, Old English Sheepdog und Silken Windhound.

MDR1-Defekt, was nun ?

Häufig löst die Nachricht über den Nachweis eines genetischen Defektes beim Hundebesitzer große Verunsicherung aus. Die Uni Giessen versucht daher, auf Grundlage der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, bestmöglich über die Konsequenzen dieses Defektes zu informieren. Über den aktuellen Stand der Forschung können Sie sich jederzeit auf der Homepage des Institutes informieren (http://www.vetmed.unigiessen.de/pharmtox/index.html)

Bei einem Testergebnis MDR1 (-/-) sollten sie Folgendes beachten:

Nach derzeitigem Kenntnisstand wird davon ausgegangen, dass betroffene Hunde im normalen Leben keinerlei Einschränkungen zu befürchten haben. Sofern ihr Hund also gesund ist, müssen sie keine weiteren Vorsichtsmaßnahmen treffen. (Anmerkung: der Hund sollte keinen Pferdekot fressen. falls das Pferd zufällig mit dem gebräuchlichen Wurmmittel Ivermectin gerade entwurmt wurde, befinden sich davon noch Reste im Kot und der Hund erleidet eine Vergiftung.)

Allerdings ist bekannt, dass die Behandlung mit bestimmten Medikamenten erhebliche Probleme bereiten kann. Dabei kann es sogar zu Todesfällen kommen. Wissenschaftlich beschrieben sind bei Hunden mit homozygotem MDR1-Defekt (-/-) Intoxikationen mit Ivermectin (ab 100 g/kg Körpergewicht, oral) und Loperamid (140 g/kg Körpergewicht, oral) [1-5,13].

Präparate aus den Substanzgruppen der Avermectine und Milbemycine, welche nicht für die Anwendung am Hund zugelassen sind, sollten nicht verwendet werden. Darunter fallen Ivermectin (z.B. Ivomec, Eqvalan, Eraquell, Virbamec, Equimax oder Optimectin), Doramectin (Dectomax), Eprinomectin (Eprinex) und Moxidectin (Cydectin, Equest).

Ein für den Hund geeignetes Präparat aus der Gruppe der Avermectine ist Selamectin (Stronghold), welches zur Applikation auf die Hautoberfläche mit einer Dosierung von 6-12 mg/kg Körpergewicht zugelassen ist. Die Sicherheit dieses Präparates wurde bei Ivermectin-empfindlichen Collies bis zu einer Dosierung von 40 mg/kg auf die Hautoberfläche und bis 15 mg/kg oral getestet. Dabei wurden keine klinischen Zeichen einer Intoxikation beobachtet [14,15]. Eine Überdosierung über die vom Hersteller empfohlene Dosierung hinaus (6- 12 mg/kg) sollte dennoch vermieden werden.  

Aus der Gruppe der Milbemycine sind zwei Präparate zur Anwendung am Hund zugelassen: Milbemax (Milbemycinoxim + Praziquantel) und Program PLUS (Milbemycinoxim + Lufenuron). Die seitens der Hersteller-Firma empfohlene Dosierung beträgt 0,5-2,5 mg (Milbemax) bzw. 0,5-1,0 mg Milbemycinoxim (Program PLUS) pro kg Körpergewicht. In einer Studie entwickelten Ivermectin-empfindliche Collies ab einer Dosierung von 5 mg/kg deutliche Zeichen unerwünschter Nebenwirkungen (Abgeschlagenheit, Bewegungs- und Koordinationsstörungen, vermehrter Speichelfluß) [16]. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite sollte die Anwendung dieser Präparate mit großer Vorsicht erfolgen.

MDR1-Defekt – Vererbung und Zucht

Aufgrund zahlreicher Anfragen zum Vererbungsgang und zum Umgang mit dem MDR1-Defekt bei der Zucht soll auch dieses Thema hier kurz zur Sprache kommen. Der MDR1 Genotyp eines Hundes ergibt sich aus der Kombination eines von väterlicher (+ oder -) und eines von mütterlicher Seite (+ oder -) vererbten Merkmales. „+“steht dabei für ein intaktes MDR1 und „-“ für ein defektes MDR1-Gen.

Der Genotyp eines Nachkommens ergibt sich aus dem Genotyp der Elterntiere. Angegeben ist die theoretische Wahrscheinlichkeitsverteilung einzelner Genotypen in der Nachkommengeneration. Nur Nachkommen, welche den MDR1-Defekt von väterlicher und mütterlicher Seite erben, sind von dem Defekt betroffen (-/-).